16. Mai 2024
13:00 - 17:15 Uhr
ctt-Fortbildungszentrum, Haus auf dem Wehrborn, Aach bei Trier
Fallbeispiel:
Eine 40-jährige Patientin mit Trisomie 21 und Adipositas wird auf die Intensivstation der Klinik aufgenommen. Im Rahmen einer COVID-Infektion besteht eine respiratorische Insuffizienz, die eine künstliche Beatmung erforderlich macht. Die Patientin wird in ein künstliches Koma versetzt und intubiert. Nach zehn Tagen stellt sich die Frage nach einem Luftröhrenschnitt, um die Beatmung fortführen zu können und die Patientin besser von dem Beatmungsgerät zu entwöhnen. Im Behandlungsteam wird höchst kontrovers diskutiert, ob man bei dieser Patientin diese Prozedur durchführen soll. Ihre Eltern drängen darauf, die behandelnden Ärzte und Pflegenden sehen zwar die medizinische Indikation als gegeben, einige sträuben sich jedoch angesichts der aufwändigen Gesamtsituation und der allgemeinen Prognose der Patientin. Schließlich wird der Luftröhrenschnitt durchgeführt. Mit folgender Besserung der COVID-Infektion kann die Patientin aus dem künstlichen Koma aufgeweckt und langsam und mühsam von der künstlichen Beatmung entwöhnt werden. Bei allen diesen Schritten ist sie völlig kooperativ. Nach vier Wochen kann sie in eine Reha-Klinik verlegt werden.
Dieses Fallbeispiel einer Behandlungssituation im Krankenhaus macht deutlich, dass bei Menschen mit Beeinträchtigung und komplexem Versorgungsbedarf im Krankenhaus gelegentlich andere Maßstäbe der klinischen Beurteilung angelegt werden als bei Menschen ohne Beeinträchtigung. Entsprechende Beispiele für eine Anwendung unterschiedlicher Beurteilungsmaßstäbe – etwa bei der Entscheidung zur Aufnahme eines Patienten bzw. eines Bewohners mit komplexem Versorgungsbedarf – finden sich in jeweils charakteristischer Weise z. B. auch in Reha-Kliniken und Altenhilfeeinrichtungen. Während in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen in vielen Fällen öffentlich geregelt und eine mögliche Diskriminierung anhand allgemein etablierter Kriterien prüfbar ist, können Diskriminierungen besonders im Gesundheitsbereich versteckt stattfinden. So ist im genannten Fallbeispiel nicht eindeutig zu bestimmen, ob es sich bei dem Widerstand gegen die weitere Beatmung überhaupt um eine Diskriminierung der beeinträchtigten Patientin handelt oder einfach um Unkenntnis über das klinische Bild der Trisomie 21, um Vorurteile, Mitleid oder eine Rücksichtnahme gegenüber der Patientin im Sinne der Sorge vor unnötiger Belastung durch letztlich frustrane medizinische Maßnahmen....